Freitag, 23. November 2012

Von ganz besonderer Bedeutung ist der Glaube, irgendetwas ablesen zu können. Selbst wenn die Fläche dessen, was da vor dem Auge ausgebreitet wird, nicht den leisesten Anschein einer Botschaft übermittelt, schaltet sich der suchende Verstand bereits ein - ist es doch das Reale, das sich dort darbietet. Nicht oft genug kann an Barthes' Es-ist-so-gewesen erinnert werden, jeden Moment aktualisiert es sich im Betrachten, da es doch ein Foto und nicht etwa der Fantasie entsprungen ist.

Hier betritt dann vielleicht auch das Melancholische die optische Bühne, beziehungsweise die fotografische Leinwand. Es dringt ein aus der Bildtiefe, die sich ja womöglich an einem anderen Ort, sicher aber in einer anderen Zeit befindet. Es kann nicht sein, dass dieser Augenblick nicht stattgefunden hat; die chemische und optische Natur verbieten es.
Wahr ist aber auch, dass man selbst oft genug nicht teilgenommen hat. Man ist gänzlich unverbunden mit dem, was wahr und gewesen ist. Man sieht und weiß doch nicht, denn geworfen ist man nur in jenen einen kontingenten Augenblick einer Geschichte, die tatsächlich war, aber nicht notwendig die eigene ist. So zwingt das Foto anders als die Malerei zu einer Stellungnahme zum Wirklichen. Das Foto ist nie ganz mein Bild.


(2011)

Alles, was nicht gesehen, sondern nur gedacht wird, ist zwangsläufig Erfindung. Bezieht sich diese Erfindung nun direkt auf das Gesehene, eventuell mit dem Versuch einer Erklärung oder Weiterführung, kann man sie als Ergänzung betrachten. Mein Bild, das ich selbst hergestellt habe, trägt seine Ergänzung für mich beständig mit sich. Doch für andere ist es lediglich ein zufälliger Ausschnitt von Welt, der präsentiert wird. Immerhin von einer gemeinsamen Welt, welche für alle gleich funktioniert. Daher die Fremdheit und Vertrautheit zugleich, die das Foto hervorruft.

Das deutliche, leicht zu lesende Bild auf der Ebene alltäglicher Wahrnehmung wirkt realistisch, das "angeschnittene", teils zeigende, teils verbergende poetisch und dasjenige, welche sich in Details und Strukturen stürzt oder sich unermesslicher Weite hingibt, abstrakt, mathematisch, sinnlich und doch auch übersinnlich. Für die Fotografie gilt wie für weniges sonst so sehr, dass der Mensch das Maß aller Dinge ist.
Dass sich der Mensch jedoch nicht überall wiedererkennen kann, hindert ihn in der Regel nicht daran, alles als Botschaft aufzufassen, die an seine Adresse gerichtet sein mag. Tatsächlich wendet sich die Welt an jeden - allein, ob sie etwas zu sagen hat und was, da driften Wahrheit und Wirklichkeit auseinander.

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The belief in being able to read anything is of very big importance. Even though the surface there that is shown to the eye makes not the slightest appearance of containing any message the seeking mind is already attentive - just because it is reality that is shown there. One cannot mention Barthes' term it-has-been-this-way too often, it refreshes in every moment of gazing because this is a photo and no product of fantasy.

Maybe melancholy approaches to the optical stage or respectively the photographic canvas through this door. It emerges from the depth of the image which is located possibly in another place but certainly another time. It is impossible that this moment has not taken place; the laws of chemistry and optics would not allow it.
But it is also true that often enough oneself has not been present. So there is no link existing to which is true and past. You see and do not know because you are thrown into this single contingent moment of history that does not have to be your own but has really been there though. So photography in contrast to painting demands a statement towards reality. The photo is never entirely my picture.

Everything that is not seen but only imagined has to be invention. And if this invention is referring to anything seen, maybe by trying to explain or complete something, you could call it a supplement. The image which I have created contains its' supplement for my view at any time. But to anyone else it is simply a casual cutaway of the world. It is a common world anyway which works the same way for everybody. This is why the photo can evoke feelings of strangeness and familiarity at the same time.

The clear image which is easy to read on the surface of everyday perception appears to be realistic, the "truncated" image which is partly showing and partly hiding seems poetic and the one that is hurling itself into details and structures or devotes itself to unmeasured vastness gives an abstract, mathmatic impression - it is sensual and yet extrasensory. For photography the fact is very true that human being is the measure for everything.
And being unable to catch his reflection everywhere does not bar him from perceiving everything as a message addressed to him. Actually the world addresses to everyone - but what it has to say and if there is something to say at all... In this case truth and reality are possibly a long way away from each other.

Mittwoch, 21. November 2012

Das Gesetz der Straße macht den ruhenden Blick scheinbar unmöglich. An der Straße, zumal der belebten ist eigentlich nichts zu fotografieren, da ihre Passanten auf den Bildern die unmöglichsten Bewegungen vollführen, denen man ansieht, dass sie nur aufgrund der Kürze des Augenblicks hatten entstehen können. Walter Benjamin hatte sich vorgstellt, wie man ins Bild wächst. Hier aber wird einem von der Maschine aufgelauert, man wird erfasst, überrascht, überrumpelt.
Nicht der Hauch einer Atmosphäre hat so eine Chance. Die Straße muss Film sein.

In den Gebäuden aber ist Wohnen. Das bedeutet das Stillstehen, das den Raum für eine gedachte oder eher geträumte Lebenswelt öffnet. Denn, wie es an einer Stelle im I Ging, dem großartigen Buch der Wandlungen heißt, ist auch das Fortdauern nur eine Art der Bewegung, allerdings in der Zeit. Und eben diese Bewegung kostet auch ihre Kraft, vielleicht mehr noch als das Umherirren in den Straßen. Über die Reise durch die Zeit gelangen wir alle an die merkwürdigsten Orte und das ohne unser Zutun und mitunter auch gegen unseren Willen.


(2011)

Das ist die trügerische Stabilität unserer Schäfrigkeit dem Leben gegenüber. Die Zeit nicht zu sehen ist nichts Ungewöhnliches, sich dieses Nicht-Sehens jedoch nicht bewusst zu sein, kann schwerwiegende Folgen haben. Wenn das träumerische Gleichgewicht kippt, zerreißt es den Film der Illusion. Wie viel Zeit liegt nur zwischen mir und diesem Haus! Und jene Momente, die es ummantelt hat, wann sind sie aus ihm hervorgequollen und im Rinnstein versickert? Eine Zeit, an der so lange zu essen war, wirkt nun wie eine einzige getrocknete Pflaume. Die Schläfrigkeit lügt nicht, sie hat nur ihren eigenen Rhythmus und ihre Geschwindigkeit. Der Schlafwandler ist wie der Kreisel, dessen Bremsen sein Umkippen bedeutet.

Nur die Geduld ist strapazierfähig, da sie sich jeden Moment rationiert. Sie kennt weder Überraschung noch Erschrecken. Sie ist gewappnet und sich stets der Zeit bewusst. Deshalb ist das Foto, das das Produkt eines geduldigen Prozesses sein muss, nicht mit dem Film in Einklang zu bringen. Es träumt nicht, noch schlafwandelt es - nein, es wacht über die Träumer, indem es ihren abwesenden Tanz in geduldiges Beharren transformiert, ihre plötzliche Geste durch den Zeit-Raum transportiert. So trennt sich nach und nach das, was bleiben kann von dem, was weichen muss.

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The norms of the street make a resting look impossible. In fact in a busy street there is hardly anything to be photographed because you can tell from the most strange movements of the passersby on the pictures that they are caused by the extreme shortage of exposure time. Walter Benjamin once imagined how one is growing into the picture. But in this case here one is ambushed by a machine, one is caught, surprised and hustled. There is no chance for even a breath of an atmosphere. The street has to be a motion-picture.

But there is habitation inside the buildings. This means a standstill which opens up space for an imaginary or more likely dreamed living environment. Because according to the I Ging, the wonderful book of transformation, even persistence is a form of movement - a movement through time. But this movement also demands energy, maybe even more than straying in the streets. Through time traveling we end up at the most remarkable places, casually and sometimes actually against our will.

This seems to be our fallacious somnolence in life. It is not uncommon to not see time itself but not being aware of this fact can have fatal consequences. When the sleepy balance is overturning the film of illusion is breaking. How much time lays there between me and this house! And those moments coated by it, when have they poured out and trickeled away in the curbstone? A time that has nourished so many now seems like a single dried plum. Somnolence is not lying but it has its' very own rhythm and speed. The somnambulist is like a spinning top - he falls as soon as he stops.

Only patience is persistent because it is rationing every moment. It knows neither sursprise nor fright. It is prepared and always conscious of time. This is why the photo, being necessarily the product of a patient process, can never conform to the motion-picture. It neither dreams nor sleepwalks but watches over the dreamers, by transforming their absent dance into patient persistence it transports their sudden gesture through time. Thus everything that may stay separates slowly from everything that has to fade away.

Montag, 19. November 2012

Ich übe mich darin, die Bilder, welche ich selbst habe entstehen lassen - gestern, vor Monaten oder vielleicht Jahren - als Angebote wahrzunehmen, die Erinnerung abzulegen. Das mag zunächst keinen Sinn machen, denn sind es nicht gerade die Bilder, die auf fotografischem Wege gemachten Bilder, die der Erinnerung Halt verleihen, die Erzählung unterstützen, die eigene Biographie veranschaulichen sollen? Zum einen stimmt das vollkommen, denn sie haben mitunter die Eigenschaft, eine einzigartige Qualität, die mit einem für mich persönlich bedeutenden, in der Vergangenheit liegenden Moment oder Zeitabschnitt aufs Engste verknüpft ist, in meinem gegenwärtigen Empfinden wieder fühlbar zu machen; bezeichnenderweise sind dies oft die Banalitäten, die die Kamera - also jener Aura-Apparat, der den Mittelpunkt meiner Texte bilden wird - nur beiläufig auf den Film gebannt hat. Der Apparat ist also noch dazu ein analoger, worauf ich aber erst an späterer Stelle genauer eingehen möchte.

Es mag die Form jenes Türgriffes sein, die sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat und anhand derer ich womöglich einmal die Unterhaltung in einer klirrend kalten Winternacht rekonstruieren werde, die dort, im Unterbewussten, nur geschlafen hat und schließlich von den seltsamen Lauten eines fernen Vogels aus ihren Träumen gerissen wird. Ich kann sagen, dass mir das Bild in dieser Hinsicht ein Bedürfnis ist, so wie es zu den angenehmen Gewohnheiten manches Menschen gehört, über das Erlebte zu schreiben. Nun möchte ich ebenfalls schreiben und schiebe dennoch den fotografischen Filter vor das, was ich zum Ausdruck bringen will. Wozu? Weil ich, wie gesagt, die Erinnerung ablegen möchte.


(2011)



Meine Erinnerungen sind, sofern sie nicht vorher durch die Fotografie gegangen sind, wertlos, da sie nicht vermittelbar sind. Sie enthalten nicht die Botschaft für einen Dritten, die sie für mich enthalten; ihnen ist kein Schlüssel beigegeben, mithilfe dessen der Leser an den Sinn gelangen könnte. Ich halte mich darüber hinaus für keinen guten Tagebuchautor. Ich befürchte, ich würde langweilen.
Stattdessen fokussiere ich meine Gedanken lieber auf ein Produkt, dessen eine Hälfte meine Schöpfung ist, die andere aber durch das Wirken der Natur und ihrer Gesetze gebildet wurde. Die Fotografie gibt mir die Möglichkeit, weil dies ihre innerste Eigenschaft, ihr eigentlich Wesenhaftes ist, mich nachträglich dem Eindruck zu stellen, dem ich einst so viel Wert beimaß, dass ich ihn nicht mehr loslassen wollte. Doch weit davon entfernt, ihn so wieder vorzufinden, wie ich ihm einmal ein Bild abgenommen hatte, bin ich dazu aufgerufen, erneut zu bewerten und mein Urteil zu begründen. Das will ich hiermit tun.

In diesem Sinne betrachte ich meine Fotografie als eine Einladung an mich selbst, mich von der Erinnerung zumindest zeitweise zu befreien versuchen. Wenn ich nicht mehr an die Hände denke, die den Griff hunderte oder tausende Male berührt haben, die Blicke vor meinem geistigen Auge ignoriere, die durch das große Glas auf die alltägliche Welt draußen geworfen wurden, dann fällt mir zunächst eines auf: Bild und Spiegelbild treffen sich auf einer Ebene. Die Fähigkeit, die ich sonst besitze, nämlich die Spiegelung zu ignorieren, um einen funktionsfähigen Blick auf meine Umwelt werfen zu können, ist mir hier genommen. Ich komme nicht umhin, sie in meine Wahrnehmung zu integrieren, ich muss mich ihrer annehmen, um der Sache gerecht zu werden. Wenn Innen und Außen durch eine so simple optische Gegebenheit eins werden können, dann frage ich mich, nach welchen Gesetzen ich gehandelt habe, die mich dazu bewogen, dieses Bild festzuhalten. Tatsächlich entspricht es ziemlich genau der Vorstellung, die ich von ihm hatte, als ich den Auslöser betätigte. Das aber ist bei weitem nicht immer der Fall...

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I try to appreciate the images I created - yesterday or maybe months or even years ago - as an opportunity to abandon memory. This may seem to make no sense because is it not the imagery produced due to a photographic process that can sustain memory, make a narration possible and depict a person's biography? On the one hand this is undeniably true, because these images tend to have a certain ability to evoke a unique quality which is linked to a very special moment in my personal life that is laying there in the past. Significantly these are often banalities casually recorded by the camera, this aura-apparatus which will play a key role in my texts. This apparatus specifically bases on an analog technique but I will refer to that later.

It may be the form of this door knob that has burned itself into my memory and with the help of it I may be able to reconstruct a conversation on a cold winter night which has slept there in my subconscious mind only to be pulled out of its' dreams by the strange sound of a distant bird. I can say that in this regard I have a need for the image like some people have the pleasant habit of writing about what they have experienced. I like to write as well but still I use this photographic filter for my expression. For what reason? Because just like I said, I want to abandon memory.

My memories are kind of worthless without having made their way through photography first because they would not be perspicious. They would not transport the same message to a third party as they do to me; they do not come with a key that a reader could use to gain access to their meaning. Besides I don't think I am good at writing a diary. I fear that it would become boring.
I prefer to focus on an artifact instead - it is half my own creation and half carved out by laws of nature. Photography makes it possible because it is its' most essential quality to confront me with impressions I once attached such a great importance to that I did not want to let them go anymore. But far away from being able to come across them once again like at that specific moment when I took the image I find myself appealed to adjucate upon them anew and to reason my judgment. This is what I want to do here.

In this spirit I deem photography as an invitation to free myself from memory, at least partially. If I don't think of the hands anymore that have touched this knob a hundred or thousand times, if I ignore the glances before my inner eye, that have been thrown through this big glass plate at the day-to-day-world outside I recognize one thing: image and mirror image meet on the same level. I loose my usual ability to ignore the reflection in order to establish a functioning view on my environment. I cannot avoid to integrate it into my perception, I have to accept it in order to live up to it. If the inside and outside can become one through such a simple optical condition I wonder about the conditions that have brought me to take this picture. Indeed, it corresponds quite exactly to idea I had in mind of it when I pushed the release button. But this is not often the case by far...